Am 7. April 1927 in Reichenbach im Vogtland geboren, studierte Wolfgang
Mattheuer von 1947 bis 51 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.
Anschließend arbeitete er als Gebrauchsgrafiker, zuerst angestellt in Berlin, ab
1953 freiberuflich in Leipzig. Zugleich begann er sich intensiv mit Malerei zu
beschäftigen, ebenso mit druckgrafischen Techniken, zuerst mit der Lithografie,
ab 1967 mit dem Holz- und ab 1979 mit dem Linolschnitt.
1956 wurde Mattheuer Dozent und 1965 Professor an der Hochschule für Grafik und
Buchkunst Leipzig. Neben Bernhard Heisig und Werner Tübke prägte er an der
Hochschule die sogenannte Leipziger Schule, deren jüngere Generation zu Beginn
der siebziger Jahre mit einem am Verismus orientierten Stil und einer mehr oder
weniger scharfen kritischen Sicht auf die Realität auftrat. Obgleich in ihrer
künstlerischen Handschrift sehr verschieden, prägten die drei Lehrer jedoch
gleichermaßen diese für die DDR neue und ungewohnte Kunstrichtung durch ihr
Wirken.
Als 1972 auf der VII. Kunstausstellung der DDR in Dresden die widerborstigen
Bilder der Leipziger Schule auftauchten, stiegen die Besucherzahlen sprunghaft
von 200 000 auf 600 000, fünf Jahr später sogar auf über eine Million. Es
entwickelte sich ein verstärktes Interesse, mit eigenen Augen zu sehen, was die
Maler über die sozialistische Wirklichkeit dachten.
Wolfgang Mattheuer z. B. malte die frohe Zukunft mit Luftballons an den
Horizont, ließ den proletarisch-fleißigen Sisyphos den Stein bergauf rollen, um
in einem anderen Bild vor den bergab stürzenden Steinmassen zu fliehen und den
Ikarus malte Mattheuer vor, während und nach dessen Sturz.
Die Leipziger Schule bot im Vergleich zu anderen Richtungen der Malerei in der
DDR die kritischste Sicht auf den ?real existierenden Sozialismus?.
Aus Anlass des 80. Geburtstages von Wolfgang Mattheuer zeigen die Galerie am
Sachsenplatz und die Galerie Schwind in Leipzig sowie der Kunstverein Talstraße
Halle Ausstellungen von Werken der Malerei und der Grafik.
Die Galerie am Gendarmenmarkt in Berlin, spezialisiert auf Bildhauerei, stellt
erstmals das plastische Werk des Künstlers in den Mittelpunkt.
1971 hatte Mattheuer begonnen, sich mit dem dreidimensionalen Arbeiten zu
beschäftigen. Die wohl bekannteste Plastik entstand 1984, der
»Jahrhundertschritt«, eine 204 cm hohe Bronzeskulptur, die u.a. vor der Zentrale
der Berliner Volksbank in Berlin, Budapester Straße, steht.
Sein plastisches Werk teilt sich in drei Gruppen:
Bronzefiguren bzw. Gipse, als deren Vorstufe,
Skulpturen aus Stein und
Objekte, die als Unikate aus verschiedenen Materialien zusammengefügt wurden.
Insgesamt sind 47 plastische Arbeiten entstanden.
Die Spanne reicht von Arbeiten klassischer Formauffassung der figürlichen
Bildhauerei, wie der »Blinde« oder die »Klagende«, beide aus dem Jahre 1972 und
beide aus Kalkstein geschlagen, bis zur ironisch-witzigen Assemblage wie das
»Inselspiel« von 1977, ein Holzfundstück mit Spielfiguren oder das »Vogelnest«
aus dem Jahre 2002, zwei Eier im Nest auf einer bemalten Hartfaserplatte im
Rahmen unter Glas.
Die dialektische Sicht auf den ?real existierenden Sozialismus? prägt auch das
plastische Werk Wolfgang Mattheuers.
Themen wie der »Mann mit der Maske«, »Gesichtzeigen«, »Verstrickt«, »Verpackte
Gesellschaft«, »Fliehender Mann« oder »Ikarus erhebt sich« deuten auf seine
kritische Weltsicht durchaus auch allgemeinerer Natur, gerichtet auf die
gegenwärtige menschliche Gesellschaft.
Zugleich zeugen sie von einer mehr zeichnerischen Sicht auf die plastische
Auseinandersetzung, die stark vom Sujet geprägt ist, weniger von einer
plastischen Idee, wie beispielsweise »Sisyphos im Rad« aus dem Jahre 1975.
Zweifellos ist das plastische Werk Wolfgang Mattheuers untrennbar mit seiner
Malerei und Grafik verbunden, mit seiner zutiefst kritischen Weltsicht, die mal
eher lyrisch-sehnsuchtsvoll, mal aber auch ironisch-bissig vorgetragen wird.
Durch seinen plötzlichen Tod am 7. April 2004 wurde Mattheuers künstlerisches
Schaffen abrupt beendet.
Der 80. Geburtstag des Künstlers ist nun ein würdiger Anlass, die bisher weniger
bekannte Seite seines Schaffens an?s Licht zu holen.
Ergänzt werden die Plastiken und Objekte durch einen umfassenden Querschnitt
seiner Druckgrafik, vorwiegend Holz- und Linolschnitte. |