Meine Damen und Herren, liebe Inge!
Entdeckungen! Entdeckungen sind häufig das Resultat einer
Reise und ich lade Sie ein, mich auf meiner ganz persönlichen
Entdeckungsfahrt zu einem fast vergessenen, unbekannten Künstler
Robert Riehl und zu einer unbekannten Seite einer sehr wohl
bekannten Künstlerin Ingeborg Hunzinger zu begleiten.
Der Anfang ist in Rahnsdorf, Fürstenwalder Allee. Seit Anfang
der 80-ger Jahre, erst mit Ingeborg bekannt und dann befreundet,
ist mir bei Besuchen Kleinplastik aufgefallen, die mich sehr
angerührt hat. Ein zartes Kinderköpfchen, liebenswerte
Frauenfiguren, und anfänglich dachte ich, dass es frühe Arbeiten
von Frau Hunzinger wären. Nun - Ingeborg kann einen sehr resolut
korrigieren, mit .. »du hast ja keine Ahnung, das sind Arbeiten
von Robert, von Robert Riehl, meinen verstorbenen Mann«, und
damit war die Sache erst mal klargestellt. Im Laufe der Zeit kam
dann die Frage ... »warum tust du eigentlich nichts für ihn, er
gefällt dir doch so ... «. Und da ich, als Ärztin, wirklich
keine Ahnung hatte, insbesondere auch keine Ahnung was auf mich
zukommt, habe ich mich mit Empfehlungen von Inge in der Tasche -
und wie ich heute weiß auch relativ blauäugig - auf die Suche
nach diesem fast Vergessenen, einer schillernden aber auch
zwiespältigen Person gemacht.
Erste Akteneinsicht – Akademie der Künste Berlin und dann auch
München. Ich treffe auf außerordentlich hilfsbereite,
hilfswillige Mitarbeiter, meist Mitarbeiterinnen, die anfänglich
durchaus etwas verwundert und überrascht sind - und diese
Reaktion werde ich später auf meiner Erkundungstour regelmäßig
antreffen –, die mir aber mit ihren Informationen Wege und Türen
öffnen und mir vor allem auf ein gewisses Fundament des
Vorgehens vermitteln können.
Ich erfahre, dass Riehl aus Viernheim bei Mannheim stammt, als
junger Bursche bei Thorak in München Bildhauer lernt und nach
Krieg und Zusammenbruch holt ihn Gustav Seitz an die
neugegründete Akademie der Künste nach Ostberlin als
Meisterschüler.
Seine Lockerheit, Respektlosigkeit, seine Genuss- und
Kontaktfreude brachten ihm Freundschaft, auch mit der
politischen und kulturellen Prominenz des Landes ein – er duzte
Johannes R. Becher und war über den Sohn mit Otto Grotewohl, dem
ersten Ministerpräsidenten des Landes befreundet. Es brachte ihm
aber auch Missbilligung, und auch diese großen Verbindungen
konnten ihn nicht retten, er fliegt von der Akademie. Zum
gleichen Zeitpunkt erhält der geschasste Meisterschüler einen
großen Auftrag für das in Entstehung begriffene Stalinstadt,
heute Eisenhüttenstadt – vier Großplastiken für das dortige
Theater bzw. die Magistrale – und dieser Auftrag endet in einem
ebenso großen Debakel.
Stichwort – Formalismusdebatte in den 50-ger Jahren. Der Dr.
Schönemann hat das so fein formuliert: »...damals war die
Plastik nicht genug sozialistischer Realismus – ab mit ihr in
die Ecke, und heute ist sie zuviel sozialistischer Realismus,
wieder ab in die Ecke.« So ist das nun mal!
Folgenschwerer war für den Riehl aber ein schwerer
Verkehrsunfall mit sowjetischen Militärfahrzeugen, der ein
monatelanges Krankenlager mit bleibenden körperlichen Schäden,
Invalidität nach sich zog. Die schwere Arbeit an monumentaler
Plastik – seiner »großen Begabung« (Seitz) war fürderhin kaum
noch möglich. Es blieb nur noch das kleine Format.
Er lebt dann, ausgestattet mit einer großzügigen Invalidenrente,
mit der er nicht umzugehen wusste, als Bohemien und Künstler in
Berlin und später ab Ende der 60-ger Jahre gemeinsam mit seiner
Partnerin und Ehefrau Ingeborg Hunzinger in Skaby bei
Friedersdorf in einem alten Gutsverwalterhaus im Wald. Und erst
in den letzten Jahren in Skaby beginnt er wieder ernsthaft zu
arbeiten. Leider sind ein Großteil dieser Entwürfe und Modelle
unvollständig geblieben und da zum Teil aus Gips, dann auch über
die Jahre dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen.
Die Geschichten von Riehl sind legendenhaft und abendfüllend.
Sein Habitus ließ keinen Zweifel an der Profession aufkommen.
Und wie Fritz Ritter sagte ... bogen sich die Stufen der
Akademie vor Autorität, wenn der Robert die Treppe herab kam:
wortgewaltig, unkonventionell, charmant und ungeheuer großzügig,
der große schwergewichtige Mann mit dem schwarzen Bart - der
Riese aus dem Märchen, aber vielleicht auch ein bisschen zum
Fürchten, zumindest zeitweise. Der Riehl stirbt, nicht wie
allgemein erwartet, an der Leberzirrhose, sondern an einem ganz
ordinären Darmkrebs.
Seine Arbeiten – meist im Besitz von Freunden bzw. deren
Nachkommen sind geschätzt und bewahrt, aber leider auch über
ganz Deutschland zerstreut. Ich erfahre auf diesen Reisen viel
Zustimmung und die Bereitschaft, die Erinnerung an ihn zu
bewahren, aber auch vereinzelt Zurückhaltung und Ablehnung –
warum gerade der, der hat sich doch nicht eingebracht, der hat
doch nichts geleistet – und gerade diese ablehnenden Haltungen
motivieren mich weiter zu machen – auch um das Bild des Robert
Riehl ein wenig gerade zu rücken. Sicher war er nicht DER
Jahrhundertbildhauer und er hat die großen Erwartungen, die
vermutlich in ihn gesetzt waren, eher nicht erfüllt, aber er hat
gewirkt und beeinflusst. Ich kenne z. Z. etwa 60 Plastiken und
eine ganze Reihe von Zeichnungen, und die Nachforschungen gehen
sicher weiter.
Auf der Suche nach Bildhauerzeichnungen von Riehl steigen wir in
Inges Keller und fördern von ganz zuunterst eine bereits recht
mitgenommen wirkende Mappe ans Tageslicht, deren Inhalt mich –
salopp gesagt - einfach umhaut. Farbige Papierarbeiten von
Ingeborg Hunzinger aus den 30-ger und 40-ger Jahren, von denen
sie vermutlich selbst dachte, dass sie verloren gegangen wären.
Diese Arbeiten stammen aus einer Zeit als Inge, damals noch
Ingeborg Franck, Enkeltochter von Philipp Franck, nach Arbeits-
und Berufsverbot Deutschland verlassen und auf Empfehlung der
Familie nach Italien verschwinden musste. Halblegal und als
Emigrantin. Sie trifft dort eine große Liebe, den Maler Helmut
Ruhmer, und mit ihm zusammen entweicht sie bis in die
Stiefelspitze, nach Sizilien. Dort finden beide eine Bleibe und
arbeiten. Der Ruhmer fällt Ende des Krieges.
Und diese Mappe hat vermutlich 60 Jahre im Verborgenen
geschlummert, um uns, Inge und mir, eine Sternstunde zu
bereiten. Inge ist als Künstlerin, als Berliner Bildhauerin -
anders als Robert Riehl - immer öffentlich wirksam gewesen. Die
zahlreichen Arbeiten im öffentlichen Raum, die großen
erzählerischen Reliefs, das ist fein dokumentiert und
nachzulesen. Und als Bildhauerin zeichnet sie auch, aber diese
aufgefundenen Blätter, die sie als »la bella grassa bionda« mit
leichter Hand auf das Papier gehuscht hat, lassen erahnen,
weshalb ihre Lehrer an der Kunstakademie meinten, sie solle das
Fach Malerei belegen und sie gleich in das zweite Studienjahr
stecken wollten. Und beide sind wir uns einig, das ist etwas,
was man zeigen muss.
Und es gab den glücklichen Umstand – wie die gesamte Recherche
unter einem ausgesprochen glücklichen Stern stand! –, dass das
Museum Eisenhüttenstadt, allen voran Frau Schletzke und Herr
Preuß, mir gleich zu Anfang der Nachforschungen, bereits um
2000, signalisierten, dass die Möglichkeit einer
Riehl-Ausstellung bestünde und dass die vor gut zweieinhalb
Jahren geäußerte Idee einer Doppelausstellung Riehl/Hunzinger
auf fruchtbaren Boden fiel und in diesem Frühjahr realisiert
werden konnte.
Und dass es nicht nur eine Doppelausstellung sondern sogar eine
gedoppelte werden konnte, verdanken wir dem Dr. Karger, der in
Eisenhüttestadt so begeistert war, insbesondere von den
unbekannten Aquarellen, dass er diese feine Schau nahezu
komplett nach Berlin geholt hat.
Noch ein Wort zu Robert Riehl. Auch wenn Werner Stötzer völlig
zu Recht sagt:
»Riehl war als Meisterschüler bei Gustav Seitz, das war zu der
Zeit ein Privileg. Leider nutzte er es nicht. Er küsste zuviel
und spielte noch höher«, so stehen wir doch heute vor dem
Wunder, dass sogar eine Art Retrospektive mit Katalog zustande
gekommen ist und dass der Riehl wahrscheinlich nicht wieder ganz
in der Versenkung verschwinden wird.
Und bevor ich sie nun zu Ihren eigenen Entdeckungen in die
schöne Galerie hier am Gendarmenmarkt entlasse, gestatten Sie
noch zwei Bemerkungen zum Schluss:
Auch wenn ich gelegentlich mit »... da kommt ja die Frau Riehl«
begrüßt werde – ich bin nicht mit Robert Riehl verwandt und ich
bin auch nicht seine Tochter.
Und ohne die Mitarbeit so vieler, insbesondere von Ingeborg
Hunzinger und dem Dr. Jens Semrau, der das ganze von mir
zusammengewuselte Material gesichtet, gewertet und geordnet hat
und mir über die Zeit auch ein Freund geworden ist, wäre der
heutige Abend nicht möglich. Ich sage DANKE. Und ich bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit. |