Leseprobe
Sehnsucht nach Form – Gedanken zum plastischen Werk von Susanne
Rast
Das eigentlich noch junge Oeuvre der Bildhauerin, wie auch
nachdrücklich das der Zeichnerin, denn beide Bildgattungen
stellen sich in ihrem Schaffen nahezu gleichwertig dar,
beeindruckt schon bei der ersten Begegnung durch eine
energievolle Körperpräsenz seiner Figuren, durch spannungsreiche
Körper-Raum-Verhältnisse und durch einen sensiblen Habitus
figürlicher Körperlichkeit. Figur ist hier Ausdruckträger eines
differenziert-spannungsvollen Wirklichkeits- und
Weltverhältnisses des Menschen, widerstreitender Welt- und
Selbsterfahrung. Es geht in diesen Arbeiten um den menschlichen
Körper in existentiellen Situationen der Gefährdung und
Behauptung. Wie für Alberto Giacometti ist Skulptur auch für
Susanne Rast nicht nur Gegenstand, sondern Prüfung, Frage und
Antwort. Aber sie ist auch im Sinne von Jaques Lipchitz ein vom
Menschen geschaffener Gefährte. Die Bildideen der Bildhauerin
und Zeichnerin entspringen eher inneren Ansichten als äußeren
Anlässen. Es geht um Sehnsüchte, um Zurückführung des Menschen
zu sich selbst, eher um »Introversion des Seelischen« als um
»Expression der Gefühle«. Die Figuren atmen Pathos, dass sie aus
der Individualität ins Allgemeine überhöht. Sie erscheinen
häufig wie Wesen zwischen den Geschlechtern, männlich und
weiblich in einem, androgyne Existenzfiguren schlechthin,
zwischen ›andros‹ (dem Mann) und ›gyne‹ (dem Weib) angelegt.
Häufig sind da adoleszente Wesen; Kindfrauen zumeist,
zerbrechlich, Standpunkt suchend, sich im Raum orientierend.
Susanne Rast vermeidet dabei bewusst das klassische Motiv des
Kontrapost von Standbein und Spielbein.
Selbstverständlichkeiten, etwa gar lässige Harmonie im Umgang
des Körpers mit dem Raum finden bei ihr nicht statt; das machte
die Sache zu einfach, oder, wie sie es sagt: langweilig. Auch
die schützende, stabilisierende Hülle des Gewandes schließt sie
aus. Das Oeuvre konzentriert in Zeichnung und Plastik
ausschließlich auf Aktfiguren.
Die Körper erscheinen leicht gedehnt und überlängt, einem
gewissen Manierismus verpflichtet, der sich eher an der inneren
Expressivität der Spätgotik, als an der äußerlichen
Schönlinigkeit der Spätrenaissance orientiert. (...)
Klaus Tiedemann |