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Malerei von Erich Seidel
1895 - 1984

aus Anlass seines 110. Geburtstages

 

 

Vernissage
1. Dezember 2005, 19 Uhr

Ausstellung
2. Dezember 2005 bis 15. Januar 2006



Erich Seidel 1977 in Berlin




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Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 1. Dezember 2005

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, daß Sie kurz bevor der Weihnachtsstreß Sie ergreift, heut noch einmal Muße finden, sich die Bilder von Erich Seidel anzusehen, Bilder, die erst zum zweiten Mal in Berlin ausgestellt werden, 1977 waren sie erstmalig in der Galerie Dorsch zu sehen. Von der Vernissage dieser Ausstellung stammt auch das Foto, daß wir in der Einladung vom Erich Seidel gedruckt haben.
Wir können Erich Seidel heute nicht mehr begrüßen, er wäre in diesem Jahr 110 Jahre alt geworden, ich begrüße aber sehr herzlich den Sohn, Herrn Jörn Seidel aus Freiburg und die Enkel, Herrn Mischa Seidel aus Dresden und Herrn Sascha Seidel aus Berlin.

Als ich vor vierzig Jahren , ja so lange ist schon es her, mit dem Studium begann, lernte ich die zweibändige Geschichte der Kunst und Architektur von Richard Hamann kennen.
Ich glaube viele Generationen von Kunsthistorikern sind an ihr geschult worden.
40 Jahre später nun stelle ich die Bilder von Erich Seidel aus, den Richard Hamann bei der Ausführung eines Auftrages für ein Altar-Tryptichon in der Kirche in Auerbach im Erzgebirge kennenlernte und entdeckte. Er holte ihn an das Kunsthistorische Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, um die Kunstgeschichtsstudenten in die Gesetzmäßigkeiten bildkünstlerischen Gestaltens einzuführen.
Ich habe Erich Seidel erst zu Beginn dieses Jahres entdeckt. So komme ich noch einmal direkt mit dem Wirken des großen Kunsthistorikers Richard Hamann in Berührung, und ich muß sagen auf eine sehr angenehme Weise.

Geboren ist Erich Seidel 1895 in Plauen im Vogtland geboren. Studiert hat er am Lehrerseminar in Plauen . Anschließend war er Soldat im ersten Weltkrieg und ab 1918 unterrichtete er an einer Hauptschule in Rabenau bei Dresden. Erst ab 1945, fünfzigjährig also schon, war freiberuflich als Maler tätig und nahm regelmäßig an verschiedenen Kunstausstellungen teil.
1943 hatte er die erste Einzelausstellung in der Dresdner Galerie Kühl, die einzige private Galerie übrigens, die die Zeit der DDR überlebt hat, 1950 stellte ihn die Galerie Henning in Halle an der Saale aus, eine Galerie, die sich in den vierziger und fünfziger Jahren der klassischen Moderne verpflichtet fühlte in einer Zeit, da in der DDR gerade der sozialistische Realismus im Stil des Repinschen Naturalismus zum Dogma erhoben wurde. Die Galerie Henning mußte Ende der fünfziger Jahre schließen.
Als Erich Seidel an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrte, hatte diese Debatte um den sogenannten Formalismus, unter den auch die klassische Moderne und ihre Jünger, zu denen ich Seidel einmal zählen möchte, subsumiert wurde, ihren Höhepunkt.
Als Erich Seidel sich in seinem Unterricht gegen die Alleinberechtigung des sozialistischen Realismus wandte, geriet er unter verschiedene Überwachungsmethoden, so daß er sich entschied, sein Lehramt aufzugeben und in Richtung Westen zu wandern, 1956 zuerst nach Oberhausen und ab 1960 nach Wallhausen bei Konstanz am Bodensee.
Über die dortige Ausstellung aus Anlaß seines 75. Geburtstag schrieb der Südkurier von seinem Werk als, ich zitiere, »Malerische Träume als Dichtung von der Welt und den Menschen«.
Die alltägliche Welt und die alltäglichen Begegnungen mit den Menschen waren in der Tat, die Sujets der Bilder von Seidel, große Themen, oder tiefschürfende Gedanken waren seine Dinge nicht, eher tief empfundene Stimmungen, punktuelle oder auch allgemeine.
Für ihn bestand die Welt aus Bildern, oder besser gesagt, er besaß die Fähigkeit, immer und überall Bilder zu sehen. Und er besaß eben auch die Gabe, uns diese Bilder in jener verallgemeinernden Form zu hinterlassen, die eben Kunst ausmacht.
Schon als Soldat hatte er bei jeder Gelegenheit gezeichnet oder gemalt und das blieb sein Leben lang so bis zu seinem Tode.

Die Suche nach einer gültigen Form der künstlerischen Verallgemeinerung konkreter Bilder trieb ihn voran, war schon Mittelpunkt seiner Lehrtätigkeit in Berlin und war Thema eines Referates zur Generalversammlung des Kunstvereins Konstanz im Jahre 1966.

Nachdem Seidel sein Schaffen anfänglich an einer geometrischen Ordnung, ganz im Sinne von Cézanne orientierte, akzentuiert relativ klare Farbflächen gegenüber stellt, werden die Konturen seiner Formen in den siebziger Jahren weicher, stimmungsvoller, um schließlich in der reinen farblichen Impression von der Welt aufzugehen.

Die Ausstellung gibt einen Überblick über die verschiedenen Phasen des Schaffens von Erich Seidel, das früheste Werk ist von 1937, die »Frau mit dem roten Hut« und das späteste Werk ist aus dem Jahr seines Todes, dem Jahr 1984, die »Wartende«.
Frühe Werke gibt es naturgemäß nicht mehr so viele, aber den Höhepunkt des Schaffens erreichte Seidel auch tatsächlich in seinem Alterswerk, das hier vorrangig ausgestellt ist.

Erich Seidel hatte für sich die Technik der Ölpinselzeichnung auf Papier entdeckt, die er zu wahrer Perfektion trieb. Er verdünnte die Ölfarbe so stark, daß sie sich schnell und leicht vermalen ließ, trotzdem aber jene charakteristische Spezifika des Malmittels bewahrte, den Glanz und die Lasur.
Durch die Überlagerung vieler dünner Farbschichten erzielte er seine mehrdeutigen Färbungen, die er auf der Palette hätte nie mischen können.
Die Bildschöpfungen werden monochrom und farbig zugleich, das Leuchten scheint dahinter zu liegen, nicht auf der Oberfläche, gedämpft aber sind sie allemal.
Mit seiner virtuosen Technik erzeugte er jenes diffuse Licht, das seine Figuren nur allmählich aus dem Hintergrund treten ließ, sie mit einem Hauch des Traumhaften umgab und die Realität zu entschwinden scheint.
Die Entkörperlichung der Gestalten nährt nun ausschließlich den Hang zur Verinnerlichung.

Das Spätwerk neigt zur Abstraktion, ist nur noch der Stimmung verhaftet und bleibt dennoch mit dem Gegenstand verbunden, vorrangig mit der menschlichen Figur, eingebunden aber oft in die Natur.

Die Bilder von Erich Seidel erzeugen eine Weltsicht, die sich zutiefst den menschlichen Beziehungen hingibt, den Menschen entrückt in eine träumerische Welt, vielleicht weil ihm die reale nicht menschlich genug schien.
Man sieht seine Bilder und die Sehnsucht nach Harmonie macht sich breit.
Mit Verblüffung betrachtet man seine scheinbar schnell hingehauchten Pinselstriche und mit Abstand betrachtet, erschließt sich uns eine märchenhafte Welt aus Mensch und Natur, aus der Harmonie beider.
Einen »Grandseigneur« der Malerei nannte ihn der »Südkurier« anläßlich seiner Ausstellung in Überlingen am Bodensee 1975.
Das Werk Erich Seidels wuchs Seidels Werk beständig und unbeirrt aller aktuellen Strömungen des Zeitgeistes, geschult an den Traditionen der klassischen Moderne. Seine Bekanntheit aber konzentrierte sich auf den südliche Raum. Insofern freue ich mich, daß ich Ihnen nun dieses Werk in Berlin präsentieren kann.

Prof. Dr. Werner Schumowski, der in den 50er Jahren bei Erich Seidel an der Humboldt-Universität zu Berlin studierte, später der anerkannte Spezialist für das Werk Rembrandts wurde, schrieb als Reaktion auf die Einladung zur heutigen Ausstellungseröffnung:
»Ich wünsche dem Meister großen Erfolg und viele neue Bewunderer.«
Ich hoffe, sehr geehrte Damen und Herren, sie werden zu diesen neuen Bewunderern des Werkes von Erich Seidel gehören.
Ich wünschte es mir.

Dr. Wilfried Karger

 

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