Dr. Heinz Schönemann
Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Ingeborg Hunzinger am 27. Januar 2005 |
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Liebe Freunde, Verehrer, Verwandte, Verwandte im Gei- ste von Inge Hunzinger,
meine Damen und Herren,
liebe Kunstfreunde, liebe Freunde figürlicher
Bildhauerei,
Inge Hunzinger, fast aus anderer Generation stammend, aus alten Zeiten, 1915
geboren, man möchte fast sagen im Vorkriegsberlin noch, also
wirklich in goldenen Zeiten, das heißt einen Kaiser hatten sie
auch, das darf man nicht vergessen, sonst waren die Zeiten
ziemlich golden offenbar. Mit einem Großvater, dem Maler Philipp
Franck, der draußen in Wannsee saß, in der Kolonie Ahlsen; mit
Liebermann am Ufer und die Berliner Sezession betrieb.
Der die Landschaft malte,
von weit gekommen war, aus dem deutschen Südwesten, um zu entdecken: Hier am
Wannsee im er Westen von Berlin und Potsdam, da ist gut Sein, da ist gut Malen,
da gibt es Motive, da tut sich was, da ist die Moderne in Bewegung.
Und dann wird ihm eine Enkelin geboren: zudringlich, neu-
gierig, aktiv. Es gibt viele Bilder, Porträts von Inge mit ih-
rer Schwester, mit Bilderbüchern, die fast zerrissen wer-
werden vor Neugier, vor Begierde zu wissen,
was darin |
Ingeborg Hunzinger am Eröffnungsabend beim Signieren
des Buches »Ingeborg Hunzinger - Die Bildhauerin«
Foto: Peter Paul Hennicke, Berlin |
steht, und mit dem Jungensspielzeug elektrische Eisenbahn. (Manchmal wünschte man heute manchem
Politiker und Bahnoffiziellen, das er auch mit einer elektrischen Eisenbahn
gespielt hätte, das würde viele Verkehrsproble- me lösen.)
Inge, zupackend und immer aktiv, war mehr als ein Modell für den Großvater. Der
Chemiker-Vater, in guter Posi- tion, denn er gehörte zu den Spitzen der deutschen
Chemie in Forschung und Lehre, konnte es ermöglichen, dass die Tochter aus gutem
Hause lernen konnte, mit vollen Händen zu geben. Schon zu Kindergeburtstagen
wurden immer mehr als drei eingeladen, möglichst noch ?ne Null dran, dann war es
richtig. Und so ging es in die Schule, gute Ausbildung, in gute Gesellschaft,
auch im Kopf gute Gesellschaft. So entdeckte Inge bald, dass es nicht allen
Leuten gut ging. Und es genügte ihr nicht, obwohl das wohl in dieser Zeit noch
keine Rolle spielte oder zu spielen schien, einer bestimmten, auch im
Wilhelminischen Deutschland nicht so gern gesehenen Rasse anzugehören, es
genügte ihr gar nicht, es musste auch soziales Gewissen sein. Doch damit endete
die Schule mit einem Knall.
Denn inzwischen war es ?33 geworden. Immerhin, das Vorbild des Großvaters
genügte, um in Charlottenburg an der Kunsthochschule ein Studium zu beginnen. Es
tendierte zur Bildhauerei, aber Wunschstudium war das Aqua- rell. Was der
Großvater mit schwerem Öl und vielleicht doch leichthändig, aber mit Dauer
zustande brachte in großformatigen Bildern, das wollte die ungestüme Inge
schnell haben: mit Wasser und Pinsel fix über das Papier. Dann kamen doch die
Hemmungen, und es kam die Keramik dazu, die Bronze, der Stein - alles das, was
einen Bildhauer langsam werden lässt gegenüber dem Maler. Aber die Zeiten
beendeten das alles gewaltsam, und Inge wich aus, und sie lernte, sie studierte
in Würzburg Steinbildhauerei. Sie hat eine richtige Ausbildung als
Stein- bildhauer. Jetzt werden Sie aufhorchen und werden sagen, naja, bei einem
90-jährigen Bildhauer..., bei einem 19-Jährigen hätte uns das gewundert.
(Zwischenruf Ingeborg Hunzinger: Mit Gesellenprüfung!) Sie lernte, was ein
Schlägel und ein Eisen ist, wie man Eisen schmiedet und schleift, und wie man
verschiedene Steine damit angehen kann. Ganz im Unterschied zu ihrer
Enkelgeneration, die, wenn ich das richtig sehe, um 1960 anfing, die Bronzezeit
in der Berliner Bildhauerei zu überwinden durch dilletierendes Losgehen auf den
Stein.
Da war mit einem Mal Inge die große Meisterin. Sie organisierte die Symposien in
den Steinbrüchen, und sie führte den jungen Leuten die Hand. Und sie sorgte,
dass es nicht nur Gekratze am Stein bleibt, sonders man lernt, die Seele des
Steins zu erfahren mit handwerklichen Mitteln, wie sie notwendig sind, um zu
geistigen Mit- teln kommen zu können. Von Würzburg kehrte sie bald wieder zurück
nach Berlin, in den 30er Jahren, kurz vor Ausbruch des Krieges. Sie hatte das
Glück, zu Ludwig Kasper zu kommen und hatte ebenso Glück , Kontakt zu bekommen
mit der Künstlergemeinschaft in der Klosterstraße. Ich muss Ihnen nicht
erklären, was dort für ein Klima war - oder vielleicht doch.
Daraus ist immerhin das berühmte Relief hervor gegangen, für welches Fritz
Cremer den Rompreis bekam, 1936, obwohl oder weil es niemand wusste, dass das
Relief »Rumpelstilzchen« hieß - ich meine, obwohl und weil viele wussten, dass
es »Gestapo« hieß, dieses Relief der eingeschüchterten und verängstigten Frauen,
die trotzdem standhaft Adressen und Losungen weitergaben.
Das politische Klima, das geistige, das figürliche Klima dort, Ludwig Kasper,
soll ich das beschwören - aber nein, ich sage, sehen Sie sich die
Bildhauerzeichnungen von Inge Hunzinger an, die hier hängen, dann werden Sie
manches erahnen.
Und das endete nun aber wirklich mit einem Eklat - Arbeits- und Berufsverbot;
und die Familie riet ihr, nach Italien zu entschwinden. Der Vater konnte es ihr
immerhin ermöglichen. Inge Hunzinger ging also in das - we- nigstens nach einer
Sicht hin - etwas harmlosere faschistische Italien und tauchte dort unter. Nicht
ganz. Sie traf unter anderem Emy Röder in Rom, und Emy Röder ging mit ihr in die
Villa Massimo und sagte, wir haben da einen jungen Maler gerade bekommen mit
einem der neuen Stipendien, sieht aus wie ein Zigeuner, aber malt wie Feuerbach.
Und sie gingen heimlich in das Atelier von Helmut Ruhmer und lachten sich tot.
Er kam dazu und sah sie lachen und sah die blonde, blauäugige Inge und war hin
und weg. (Zwischenruf I. H.: Blaue Augen hatte ich noch nie, sie sehen grün
aus.) Ja, Inge, aber Ruhmer malte sie blau! Er wusste nicht, wie ihm geschah und
was ihm passiert, aber es hätte ihm nichts besseres passieren können, als den
Bettel hinzuwerfen, den nazistaats- offiziellen, und mit ihr weiter auszuweichen
bis hinunter nach Sizilien. Dort war man dann wirklich unerkannt und für sich,
aber wirklich ganz allein für sich. Da konnte man nicht von Malerei leben und
von Bildhauerei noch we- niger. Aber die Kindersterblichkeit war groß in Sizilien
und die Familienanhänglichkeit noch größer und die Trauer der Familien. Alle
wollten sie Bilder haben von den sterbenden Kindern, Andenken von den
gestorbenen. Kein Fotograf weit und breit, auch kein Geld für den Fotografen,
doch ein bisschen Nahrungsmittel und wenige kleine Münzen, um sich von noch
ärmeren Malern und Bildhauern die Kinder aquarellieren zu lassen. So konnte man
immerhin durchkommen.
Als aber dann der Anfang, dieser schüchterne Anfang, einer zweiten Front
zustande kam und die Alliierten lan- deten, war das immerhin für die Nazitruppen
das Signal, im Zurückweichen vor dieser Front Italien zu durchkäm- men und alle
Missliebigen aufzutreiben. Also musste man flüchten, wohin - nach Norden. Sie
flüchteten in den Schwarzwald, und Ruhmer flüchtete ins Militär. Das hat ihm
noch das Leben gekostet in den letzten Kriegsta- gen. Während Inge sich mit den
beiden Kindern im Schwarzwald durchschlagen konnte, bis sie noch mal ein
Be- rufsverbot ereilte, denn da war sie immer noch nicht getarnt genug, getarnt
schon, aber nicht getarnt genug.
Und dann kam ?45 und es dauerte und sie konnte nach Berlin zurück kommen. Da
waren die Eltern, da war ein gewisser Rückenhalt und da war die Kunsthochschule
in Weißensee mit einer Assistentenstelle. Und dann war da die Akademie der
Künste mit Meisterschülerlehrgängen. Sie kam zu Fritz Cremer. Und Fritz Cremer
entdeckte etwas ganz Wesentliches an ihr, was, wie ich finde, für ihre weitere
bildhauerische Entwicklung mehr war als späte Meisterschülerlehren und
-ratschläge.
Das hängt mit einem etwas makabren Ereignis zusammen. Ich will es Ihnen so
erzählen, wie es mir Fritz Cremer erzählt hat: Richard Paulick hatte in der
Straße, die die Stalinallee hieß, gegenüber dem ominösen Denkmal eine Sporthalle
errichtet. Über den Porticus war eine große, leere Fläche - bestimmt für, nun,
sagen wir?s ruhig, agi- tatorische Reliefs oder vielleicht einfach nur
Transparente. Also man kam auf Reliefs. Und unter den Meister- schülern der
Akademie wurde ein Wettbewerb geführt um das Relief auf dieser großen,
prominenten Fläche. Als die Entwürfe ausgestellt wurden, kam auch Walter
Ulbricht, sah sie sich an und hatte schon seinen Hofkünstler im Gefolge (heute
weiß keiner mehr den Namen, wer weiß, wohin der entschwunden ist) und bestimmte,
der hier wird die Reliefs machen! Dann fasste Ulbricht Fritz Cremer am Schlips -
ich erzähle das authentisch Wiederge- gebene - und sagte: »... und du, Fritz wirst
ihn anleiten, dass das auch so bildhauerisch richtig sitzt.« Cremer erinnerte
sich: »...ich habe Ulbrichts Hand von meinem Schlips abgemacht und habe gesagt:
ich werde gar nichts - und bin gegangen.« Es kamen also diese Sachen dran, die
später, als es nicht mehr Stalinallee hieß, Erich Engel in der Akademie zu der
Frage veranlassten: »...wer hat denn diese Eierkuchen eigentlich gemacht da?«.
Worauf eben Cremer ihm die Geschichte erzählte, und da er sie mir dann
wiederholte, kann ich sie Ihnen heute weiter erzählen.
Aber Cremers bevorzugte Wahl für das Relief waren die Arbeiten von Inge
Hunzinger gewesen. Sie hatte Bewe- gung auf die Fläche gebracht, schließlich
wollte sie ja mal Aquarellieren; ich glaube, das spielte eine Rolle. Auf ihrem
Relief kamen eine Menge fröhlicher Leute gezogen, dem Betrachter entgegen, der
Leserichtung des Be- trachters entgegen, von oben rechts strömten sie ins Feld,
und sie trafen auf ein Widerpart, auf eine Gruppe von Repoussoir-Figuren in der
unteren linken Ecke. Diese erzählerische Spannung - das war das, was Cremer
faszinierte. Da ist, denke ich, der Groschen gefallen - Inges Begabung zur
Dynamik des szenischen Reliefs.
Und das ist ihre Stärke geworden. |
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Impressionen vom
Abend der Eröffnung: links und rechts die Künstlerin mit dem
Galeristen, mittig mit dem Redner
Fotos: Hans-Jörg Schirmbeck, Potsdam |
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In dieser
Ausstellung sehen Sie davon kaum etwas. Die Ausstellung, die Wilfried Karger
zustande gebracht hat, ist ja sowieso eine bewundernswerte Leistung, denn Inge
hat nie für Ausstellungen gearbeitet. Eine Ausstel- lungsbildhauerin war sie
nie. Sie wollte da, wo Bildhauerei sich behaupten muss, in architektonischen
Räumen,
an urbanen Plätzen, da wollte sie stehen mit ihren Arbeiten. Und dafür sind auch
ihre erzählerischen Reliefs ge- dacht und deren Veränderungen im Laufe der Zeit.
Sie werden nämlich zu mehr als Reliefs, sie werden regelrech- te Räume, richtige
Raumkästen - mit mehreren Schichten, mit Tiefen und Durchblicken. Sie erweitern
sich, lösen sich in dem Maße auf, wie sie Raum um sich herum vorfinden,
antworten auf die Architektur, geben dieser Archi- tektur eine Mitte und
schaffen so in vielen Fällen überhaupt erst einen urbanen Raum, der vorher nicht
vorhan- den war - sie interpretieren ihn herbei. Durch Inges Figuren, durch ihre
Figurengruppen, durch die Reliefs, deren Schichten sie aufbaut, erfasst und
empfindet man den Raum. Dieser Raum beginnt zu erzählen, beginnt zu sin- gen, zu
musizieren. Man hört ganze Orchester und erlebt ganze Geschichten - im
Herumgehen, im Davorstehen, einfach im Lauschen auf ihre Steine, ihre Bronzen,
ihre Keramiken, die sie je nach der Gelegenheit wählt, die ge- geben ist und je
nach den materiellen Mitteln, die irgendjemand, der es ja schließlich bezahlen
muss, ermöglicht.
Dieses Bezahlen war immer ihre Schwäche. Denn sie hat nie zuerst gefragt, wo ist
der Auftrag, welche Raten...? Es war immer die erste Frage, wo kann das stehen,
wer hilft mir dabei, es aufzustellen, wie schaffe ich die Stei- ne herbei oder
wer gießt es oder wer formt die Keramik und brennt sie mir. Und dass es dann
Geld kostete, das musste schließlich irgendwie geregelt werden. Und sie regelte
es irgendwie. (Zwischenruf I. H.: Bis heute!) In dem in diesen Dingen vielleicht
nicht so genauen Staat - der es immer mit der Ideologie so nahm genau, mit dem
Rechnen nicht - konnte sie sich mit ihrer Vitalität meistens durchsetzen.
Der wiedervereinigte Berliner Senat musste das bei der Rosenstraße erst lernen,
wie Inge Hunzinger sich durch- setzt. Denn nachdem sie geübt hatte - und ich
sage, es war die große Übung: im neu erbauten Krankenhaus Köpenick einen ganzen
eigenen Raumkasten in der Plattenarchitektur zu erobern. Sie hat ihn wunderbar
genutzt, sich ein autonomes Ambiente zu schaffen. in dem sie schichtet, mit
wechselnden Tiefen, mit Lichteinfällen, mit den Stimmungen und den Größen der
Figuren spielt.
Das war die große Übung dafür, den tapferen Frauen, die ihre jüdischen Männer
bei der Gestapo wieder heraus- geklagt haben, in der Rosenstraße ein Denkmal zu
setzen - dabei zu entdecken, dass dieser Ort, an dem einmal ein Bethaus
gestanden hatte, immer noch zum authentischen Ort wird, wenn man sein Wesen
wieder herauf be- schwört. Dort eine Mitte zu schaffen, die parkenden Autos
rauszuschmeißen und die streunenden Hunde, und
zu veranlassen, dass aus dem wilden Gestrüpp eine Parkanlage wird, leistete Inge
Hunzingers Elan, dem histori- schen Ereignis eine Figurengruppe zu widmen und
damit der Überlieferung einen Ort zu geben. So ist ein Ort ent- standen, zu dem
man hingehen kann, an dem man sich erinnern, gedenken kann, wo man etwas
erfährt, indem man wissend und empfindend, bereichert wieder davon geht und
wohin wahrscheinlich auch immer wieder zu- rückkehren wird. Und das in einer
Zeit, als man gerade anfing darüber zu diskutieren, dass das große Unheil des
20. Jahrhunderts figürlich nicht zu fassen sei, dass man nur Symbole brauchte,
wogende Weizenfelder oder was... - was weiß ich.
Es spielte für Inge Hunzinger keine Rolle, sie wusste, es gab Bänke in ihrer
Jugend, da stand: »Nicht für Juden«. Und so erfand sie eine Bank und setzte
jemanden drauf und sagte: so, nun sitzt der hier. Das war ihre Vorstel- lung von
den Symbolen und den Zeichen, die man braucht, um sich zu erinnern. Im Hof in
der Rosenstraße hat sie uns das vorbildlich vor Augen geführt. Ich denke, es ist
ein Höhepunkt ihres Schaffens.
Aber nicht nur Denkmäler, heitere Dinge: Da liegt eine Figur frech irgendwo in
Berlin-Mitte, wir haben sie gemein- sam die »Berliner Sphinx« genannt, aber sie
mordet keine jungen Männer, im Gegenteil - sie ist nur selbstbe- wusst und
sicher und sehr fröhlich.
Und dann hat Inge Hunzinger noch einmal ein Denkmal vorgeschlagen für einen
Platz in Berlin, wo heute, wie ich höre, Schriftzüge über Bürgersteig und
Fahrbahn gehen werden, von links nach rechts, von oben nach unten, von rechts
nach schräg - ich jedenfalls lese von links nach rechts, weiß nicht genau, ob
ich auch... - aber das ist egal.
Inge hat einen anderen Entwurf gemacht, ob sie es 90-jährig noch bewältigen
kann, steht dahin, aber 90-jäh- rige Bildhauer hatten ehemals meist junge
Helfer, die dabei sehr viel lernen konnten.
Und so lassen Sie mich enden damit: es steht eine kleine Statuette hier, eine
alte Dame mit großem Hut, ein Selbstbildnis von Inge oder bist du nur Rosa
Luxemburg immer ähnlicher geworden?
Inge, du hast noch viel vor dir und dazu beglückwünschen wir dich herzlich! |
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